Forum Umwelt & Entwicklung
Rundbrief III/2001

Die deutsche Global-Governance-Politik

     
   
"Wir müssen die globalen Herausforderungen annehmen. Ein Land vom Gewicht Deutschlands ist dabei gefordert. Ich möchte die Regierung ermutigen, aktiver zu werden." (Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Spiegel vom 6.8.2001)
2002 wird zum Schlüsseljahr der internationalen Politik, insbesondere für die Nord-Süd-Beziehungen. Am Beginn des 21. Jahrhunderts stehen zwei eng miteinander verflochtene Weltkonferenzen, die einzigartige Chancen für die kooperative Bearbeitung des globalen Wandels bieten. Lässt die Weltgesellschaft den günstigen Moment verstreichen, ist eine weitere Zuspitzung der planetarischen Krise gewiss.

Als erstes laden die Vereinten Nationen im März 2002 zur Konferenz über Entwicklungsfinanzierung nach Monterrey (Mexiko) ein. Ein halbes Jahr später trifft sich alles, was Rang und Namen in der internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik hat, im südafrikanischen Johannesburg zum "Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung", dem Rio+10-Folgetreffen.

Im Vorfeld der beiden Weltkonferenzen richtet sich der Blick auf die Bundesregierung. Welche Rolle hat Deutschland beim Bemühen um Lösungen für die politische Gestaltung der Globalisierung übernommen? Wie vertritt sie die langfristigen Interessen der deutschen Gesellschaft angesichts wachsender Risiken im globalen System? Wird die Berliner Global-Governance-Politik dem wirtschaftlichen und politischen Gewicht unseres Landes nach der Vereinigung gerecht?
Warum soll sich Berlin für globale Probleme interessieren?

Bevor diese Punkte behandelt werden, will ich auf die Frage eingehen, warum sich die Bundesregierung überhaupt für den globalen Wandel interessieren sollte. Häufig werden in diesem Zusammenhang drei Motive genannt:
  • Ethisch-humanitäres Engagement für die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte,
  • Bewahrung des globalen ökologischen Gleichgewichts,
  • internationalistische Solidarität.

Diese drei Stränge alleine werden nicht ausreichen, um die Bundesregierung zu einem pro-aktiven Verhalten bei der globalen Problemlösung zu bewegen. Wenn dies alles ist, was an Argumenten vorgebracht werden kann, bleibt es bei der moralisierenden Klage über die Kurzsichtigkeit und Verantwortungslosigkeit der politischen Klasse. Das wird wenig Wirkung erzielen, da sich die Politik in Einklang mit der Mehrheit in Gesellschaft und Wirtschaft weiß.
Ich meine, dass wir aus dieser Sackgasse nur heraus kommen, wenn wir uns dem Interessendiskurs zuwenden und den Nachweis erbringen, dass die langfristigen gesellschaftlichen Interessen unseres Landes durch die augenblickliche Ausrichtung der auswärtigen Beziehungen vernachlässigt werden (Clark 2001). Das bedeutet nicht, diffuse Ängste über Flüchtlingsströme und Naturkatastrophen zu schüren. Ein positiver Ansatz besteht darin zu zeigen, dass sich Gutsein lohnt. Die wachsende Komplexität des globalen Wandels bedingt nämlich immer stärkere Verflechtungen und wechselseitige (wenn auch ungleiche) Verwundbarkeiten zwischen Staaten und Gesellschaften. Eine nüchterne Kosten-Nutzen-Analyse führt schnell zur Erkenntnis, dass die Bundesregierung mehr Ressourcen, mehr Geld, Personal und Aufmerksamkeit, als bisher für die Lösung der globalen Probleme aufbringen muss. Dabei gilt auch das Effizienzprinzip: Vorsorge ist billiger als nachsorgende Reparatur.

Wie verhält sich Berlin zu den globalen Problemen?


Ein wichtiger Indikator für den Stellenwert von Global Governance in der strategischen Planung der Bundesregierung ist die Verteilung der Finanzmittel im Bundeshaushalt. Aufschlussreiche Hinweise dazu ergeben sich aus dem 2000 begonnenen Sanierungsprogramm von Finanzminister Eichel, das die globale Dimension der Zukunftssicherung komplett ausgeblendet. Die durch die UMTS-Lizenzversteigerung erzielten Zinsersparnisse von 5 Milliarden DM pro Jahr setzt die Bundesregierung nach den mir vorliegenden Informationen ausschließlich für inländische Verwendungszwecke ein.

Investitionen in den Bereichen Bildung, Forschung, Schienenverkehr und Altbausanierung sind zweifellos wichtige Beiträge zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, aber die Verengung des Programms auf einheimische Probleme ist eine unterkomplexe Reaktion auf die wirklichen Herausforderungen. Denn Sicherheit und Wohlergehen der deutschen Gesellschaft werden immer stärker durch die Dynamik des globalen Wandels bestimmt. Wenn gleichzeitig noch die Haushaltsmittel für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gekürzt werden, stellt sich die Frage, ob die Führung des Finanzministeriums Opfer einer verzerrten Interessenwahrnehmung geworden ist. Die ökologische und soziale Krise des Erdsystems und die damit verbundenen Gefahren für die deutsche Gesellschaft sind augenscheinlich keine relevanten Größen bei der haushaltspolitischen Prioritätensetzung.

Elemente einer pro-aktiven Global-Governance-Politik


Nach meiner Auffassung liegt eine pro-aktive Politik der Bundesregierung bei den anstehenden Weltkonferenzen im unmittelbaren gesellschaftlichen Eigeninteresse. Hier kann Berlin an die vereinzelt vorhandenen positiven Beiträge zu den Weltkonferenzen der 90er Jahre anknüpfen (Fues/Hamm 2001). Eine überzeugende Rolle Deutschlands bei der kooperativen Bearbeitung des globalen Wandels erscheint nur möglich, wenn folgende Bedingungen geschaffen werden:

Leitbild des Bundeskabinetts


Es fehlt ein verbindliches Gesamtkonzept, ein übergreifendes Leitbild für die globale Politik des ganzen Bundeskabinetts, das Leitplanken für die internationalen Aktivitäten aller Fachressorts festlegt. Bisher bleibt offen, welche Ziele und Schwerpunkte die Bundesregierung zur Bewältigung des globalen Wandels verfolgt und mit welchen Instrumenten dies geschehen soll. Deshalb verfolgen die einzelnen Ministerien ihre Partikularinteressen in globalisierten Politikfeldern weitgehend auf eigene Faust. Ist eine interministerielle Abstimmung erforderlich, beispielsweise zwischen Wirtschafts- und Entwicklungsministerium bei der Handelspolitik, setzt sich das stärkere Haus gegen die Anliegen der unterlegenen Seite durch. Eine übergreifende Köhasion staatlichen Handelns und die Kohärenz der in unterschiedlichen Feldern vertretenen deutschen Positionen ist auf diese Weise nicht gewährleistet.

In einer Pionierstudie haben Walter Eberlei und Christoph Weller die enorm gewachsenen Tätigkeiten der deutschen Ministerien im internationalen Raum dokumentiert und gleichzeitig das Fehlen eines Gesamtrahmens für eine pro-aktive deutsche Global-Governance-Politik festgehalten (Eberlei/Weller 2001, S. 40 und 42): "Die institutionelle Reaktionsfähigkeit der Bundesministerien hinsichtlich globaler Entwicklungen scheint eng begrenzt. Von seltenen Ausnahmen abgesehen verbleibt die internationale Aufgabenwahrnehmung in den traditionellen administrativen Strukturen... Die von den Fachministerien geleistete Arbeit ist fast ausschließlich reaktiv: sie kommt den aus der internationalen Zusammenarbeit entstehenden Anforderungen nach."

Neue Steuerungsmechanismen


Ein zentrale Herausforderung für die Implementierung einer kohärenten deutschen Global-Governance-Politik ist die Identifikation neuer Steuerungsmechanismen. Es muss geklärt werden, wie eine kontinuierliche Prozesssteuerung stattfinden kann und wie Konflikte im Hinblick auf die übergreifenden Zielsetzungen des Kabinetts gelöst werden sollen. Die bisherige Form der interministeriellen Abstimmung ist nicht vom Bemühen um effiziente Lösungsbeiträge, sondern von einer Konfliktvermeidungsstrategie bestimmt: "Interministerielle Koordination wird in den Fachministerien dann als erfolgreich betrachtet, wenn sie auf möglichst niedriger Hierarchiestufe gelingt und die internationale Arbeit keine zusätzlichen Konflikte in die Bundesregierung bringt... So kann die globale Problembearbeitung vom Ziel der interministeriellen Harmonie dominiert werden." (Eberlei/Weller 2001, S. 42).

Angesichts wachsender Engpässe in den öffentlichen Haushalten ist dieses Verhalten rational. Ein Ministerium, das sich mit anderen Ressorts anlegt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Verteilungskampf um knappe Finanzmittel durch Solidaritätsverweigerung bestraft und muss überproportionale Kürzungen in Kauf nehmen, wie jüngst der BMZ-Leitung geschehen.

Vor diesem Hintergrund scheint mir die Stärkung des Bundeskanzleramts wesentliche Voraussetzung für eine neue Qualität der deutschen Global-Governance-Politik zu sein. Weder das Auswärtige Amt noch andere Ministerien verfügen über die notwendige Legitimation und Autorität, um die Politik anderer Fachressorts auf Übereinstimmung mit dem Global-Governance-Leitbild zu überprüfen und bei entsprechenden Verstößen aktiv zu werden.
Ohne Personalaufstockung wird das Kanzleramt die anspruchsvollen Steuerungs- und Koordinationsaufgaben nicht zufriedenstellend ausüben können. Auch in den Ministerien erfordert eine pro-aktive internationale Politik zusätzliche Personalressourcen, die entweder durch interne Umschichtung oder durch Neueinstellungen gewonnen werden müssen: "Die in allen Ministerien anzutreffende Arbeitsüberlastung internationaler Referate verhindert in vielen Fällen die aktive Gestaltung internationaler Verhandlungsprozesse (Beispiele: Mitgestaltung der ILO-Konventionen, der IWF-Politik, der Weltbank-Kreditvergabe u.a.m.) (Eberlei/Weller 2001, S. 42)."

Wer soll das bezahlen?


Eine pro-aktive deutsche Global-Governance-Politik, das ist unabwendbar, erfordert erheblich höhere Mittel aus dem Bundeshaushalt als bisher von Bundeskanzler und Finanzminister zugestanden wird. Bestimmt ist das BMZ nicht das einzige Ministerium, dass durch den globalen Wandel gefordert ist, aber die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit sind ein wichtiges Signal für das Problembewusstsein in Berlin. Für mich ist es unverständlich, dass die Bundesregierung den BMZ-Etat gerade im Jahr der beiden Weltkonferenzen um 400 Millionen auf 7 Mrd. DM kürzen will. Meine Hoffnung richtet sich jetzt darauf, dass der Bundestag im Rahmen der Haushaltsberatungen für 2002 nicht nur die zugesagten 200 Millionen wieder einstellt, sondern die Streichung vollständig rückgängig macht. Anders wird die Bundesregierung gegenüber der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit wohl kaum behaupten können, dass sie sich den Herausforderungen des globalen Wandels stellt.


Thomas Fues
Der Autor ist Mitarbeiter am Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg und Eine-Welt-Beauftragter des Landes NRW



Clark, William C. 2001: America´s National Interests in Promoting a Transition to Sustainability, in: Environment, Vol. 43 No.1 (January/February), S. 19-27.
Eberlei, Walter/Christoph Weller 2001: Deutsche Ministerien als Akteure von Global Governance, INEF-Report 51/2001, Duisburg: Institut für Entwicklung und Frieden.
Fues, Thomas/Brigitte Hamm (Hg.) 2001: Die Weltkonferenzen der 90er Jahre: Baustellen für Global Governance, Bonn: Dietz-Verlag, im Erscheinen