Herrn
Bundesminister
Jürgen Trittin
Bundesministerium
für Umwelt,
Naturschutz
und Reaktorsicherheit
11055
Berlin
Berlin,
2. Juni 2002
WSSD-Vorbereitungskonferenz
in Bali: Gemeinsamer Appell der Umwelt- und Entwicklungsverbände
Sehr geehrter
Herr Minister,
wir schreiben
Ihnen heute anlässlich der Besorgnis erregenden Entwicklung bei den
in Bali stattfindenden Vorverhandlungen für den Johannesburg-Gipfel.
Die Dinge
entwickeln sich schlecht. Die gemachten politischen Versprechen fallen
derzeit in sich zusammen.
Nächste Woche
wird die letzte Chance sein, das zu erreichen, was UN-Generalsekretär
Kofi Annan in seiner Rede vom 14. Mai für den Johannesburg-Gipfel eingefordert
hat. Wir begrüßen seine Aussage über „fünf spezifische Bereiche, in
denen konkrete Ergebnisse notwendig und auch erreichbar sind“ – Wasser,
Energie, Gesundheit, Landwirtschaft und Biodiversität – „fünf Bereiche,
in denen ein Fortschritt mit den Ressourcen und Technologien möglich
ist, die uns heute bereits zur Verfügung stehen.“
Keine der
in Bali vertretenen Regierungen scheint Notiz von Kofi Annans Forderung
zu nehmen, dass wir auf dem Erdgipfel „unseren einen und einzigen Planeten
bewahren müssen“.
Die Regierungen
fahren fort, die Globalisierung der Unternehmen vor die Interessen der
Menschen und des Planeten zu stellen. Annans Vision, dass wir „gemeinsam
ein neues und hoffnungsvolles Kapitel in der Geschichte der Natur und
des Menschen schreiben können und müssen“, wird sträflich ignoriert.
Die Regierungen haben bisher darin versagt, der wirtschaftlichen Globalisierung
soziale und ökologische Grenzen zu ziehen.
WSSD-Generalsekretär
Nitin Desai sagte, dass von dem Weltgipfel erwartet werde, dass er „einen
Impuls für die klare Abkehr vom business as usual“ gebe. Und Emil Salim,
der Chairman des Vorbereitungskomitees, sagte: „Wenn wir so weiter machen
wie bisher, werden wir untergehen.“
Sehr geehrter
Minister Trittin: der Weltgipfel ist im Begriff, unter zu gehen.
Die in Bali
versammelten Regierungsvertreter bleiben sogar noch hinter dem „business
as usual“ zurück: wenn es beim derzeitigen Verhandlungsverlauf nicht
umgehend zu einer Kehrtwende kommt, wird Johannesburg das Erbe von Rio
vernichten.
Was als „Rio
Plus 10-Konferenz“ gedacht war, droht zur „Rio minus 10–Konferenz“ zu
werden.
Wir hoffen
sehr, dass es in Johannesburg zu konkreten Fortschritten bei der Umsetzung
der Millenniums-Deklaration kommt. Aber das Fehlen konkreter Ziele und
Zeitvorgaben in dem für Johannesburg vorgeschlagenen Text stellt einen
großen Rückschritt für die Umsetzung der Millenniums-Ziele dar.
Wir sind
äußerst besorgt über die Haltung der Bush-Regierung bei den Verhandlungen
in Bali. Die Vertreter der US-Regierung lehnen systematisch jegliche
Vorgaben über Ziele, Zeitpläne und Finanzierungen der Chairman-Vorlage
ab.
Wir haben
den Eindruck, dass viel zu wenig politischer Druck auf die derzeitigen
Verhandlungen ausgeübt wird, um wenigstens einen minimalen Erfolg zu
erzielen. Der vorgeschlagene „Aktionsplan“, der in dieser Woche in Bali
noch weiter verwässert wurde, ist ein „Nicht-Aktionsplan“, der sozial
und ökologisch desaströse Folgen hätte.
Die Regierungen
müssen unserer Überzeugung nach nächste Woche einen Aktionsplan annehmen,
der folgende Schlüsselelemente für die fünf von Kofi Annan genannten
Kernbereiche enthält:
·
Konkrete Ziele und Zeitrahmen
·
Instrumente zur Implementierung und finanzielle Ressourcen
·
Institutionelle Einrichtungen
·
Überwachung, Berichterstattung, Umsetzung und Einklagbarkeit
Wenn diese
Elemente nicht übernommen werden, sollten Sie ernsthaft prüfen, ob es
sich überhaupt noch lohnt, diesen Weltgipfel abzuhalten.
Deutschland sollte sich in Bali vor allem auch
für den Abbau von Subventionen für umweltschädliche Energien einsetzen.
In Zusammenarbeit
mit anderen Nichtregierungsorganisationen haben wir über zwei Jahre
lang am WSSD-Vorbereitungsprozess konstruktiv mitgearbeitet. Im Anhang
dieses Briefes finden Sie einige Beispiele unserer handlungsorientierten
Vorschläge, die dazu beitragen könnten, die Vorgaben der UN-Vollversammlung
für diesen Vorbereitungsprozess zu erfüllen.
Sehr geehrter
Herr Minister Trittin: Nicht nur die Erde, auch der Erd-Gipfel muss
gerettet werden.
Als Minister
haben Sie die Verantwortung, zu handeln, wenn Ihre Delegationen und
Vertreter ihrer Aufgabe nicht gerecht werden. Wir vertrauen darauf,
dass Sie Ihre politische Fähigkeiten und den Willen zu konkretem Handeln
einbringen, um in der letzten Woche der Verhandlungen in Bali eine Kehrtwende
herbei zu führen.
Wir hoffen
sehr darauf, dass Sie umgehend aktiv werden.
Mit freundlichen
Grüßen
Brigitte
Behrens
Geschäftsführerin
Greenpeace Deutschland e.V.
Dörte Bernhardt
Vorstandsmitglied
Germanwatch
Jochen Flasbarth
Präsident
Naturschutzbund Deutschland (NABU)
Nika Greger
Leiterin
EU-Koordination und Internationales beim Deutschen Naturschutzring (DNR)
Bernhard
Henselmann
Geschäftsführender
Vorstand EarthLink
Frauke Liesenborghs
Geschäftsführerin
Global Challenges Network
Jürgen Maier
Leiter Projektstelle Forum Umwelt und Entwicklung
Eva Quistorp
Frauen für Frieden
Regine Richter
Urgewald
Stefan Richter
Bundesvorstand Grüne Liga
Barbara Unmüßig
Vorsitzende
Verein Weltwirtschaft Ökologie und Entwicklung (WEED)
Jürgen Wolters
Vorstand
ARA
Dr. Angelika
Zahrnt
Bundesvorsitzende des Bundes für Umwelt und
Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Werner Zidek
Stellvertretender
Vorsitzender der Umweltstiftung WWF
Anhang
Gesundheit
Um Entwicklungsländern
und vor allem den am meisten unterentwickelten Ländern Zugang zu Gesundheitspflege
und medizinischer Versorgung zu ermöglichen, muss der WSSD die Welthandelsorganisation
WTO auffordern, das Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistiger
Eigentumsrechte (TRIPS) grundlegend zu revidieren. Der WSSD muss außerdem
die Auswirkungen von toxischen und gefährlichen Stoffen und den Zusammenhang
mit verseuchtem Wasser und unzureichenden sanitären Einrichtungen behandeln.
Wir fordern die sofortige Ratifizierung und die volle und effektive
Umsetzung der vier wichtigsten Chemie-Konventionen: der Basel-Konvention,
der Stockholmer POPs-Konvention, der PIC-Konvention von Rotterdam und
der Londoner Konvention über Abfallbeseitigung in Meeren.
Wasser
Das Ziel
der Millenniums-Deklaration, den Zugang zu sauberem Wasser für Millionen
weiterer Menschen zu ermöglichen, ist ein ausgezeichneter Startpunkt,
muss aber verknüpft werden mit einem ähnlichen Ziel für die Bereitstellung
sanitärer Einrichtungen. Umgekehrt ist es aber unerlässlich, dass der
Lieferant und Empfänger dieses Wassers - die Umwelt – ebenso respektiert
wird. Ohne dies und ohne ein auf den Prinzipien des IRBM (Integrated
River Basin Management) gegründetes Wassermanagement werden alle Programme
nicht nachhaltig sein. Wir möchten Sie dringend auffordern, dafür zu
sorgen, dass effiziente Mechanismen in Kraft gesetzt werden, die sicher
stellen, dass Wasserressourcen global und bei allen Flüssen auf dieser
Grundlage gemanagt werden und dass ausreichende finanzielle Mittel bereit
gestellt werden, um dieses Millenniums-Ziel zu erreichen. Es liegt auf
der Hand, dass Entwicklungshilfegelder unzureichend sind, um diesen
Bedarf zu decken. Auch die Rolle staatlicher Subventionen muss in diesem
Kontext angesprochen werden. Ökologisch und sozial schädliche Subventionen
müssen beseitigt und für ökologisch und sozial verträgliche Projekte
wie das IRBM-Management verwendet werden. Das Prinzip des „polluter/user
pays“ muss auf faire und ausgewogene Weise umgesetzt werden, einschließlich
einer Unternehmenshaftung für die Verschmutzung von Wasser.
Energie
2 Milliarden
Menschen weltweit haben noch immer keinen Zugang zu Energieversorgung
und sind abhängig von gefährlichen und nicht nachhaltigen Brennstoffen.
Es ist dringend nötig, dass wir diesen Menschen den Zugang zu erschwinglicher,
sauberer, nachhaltig erzeugter Energie innerhalb von 10 Jahren ermöglichen.
Dadurch würden nicht nur die Millenniums-Deklaration umgesetzt, sondern
auch die Ziele der UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel befördert. Dementsprechend
muss der WSSD ein Ziel für den vermehrten Gebrauch Erneuerbarer Energien
weltweit vorgeben mit einem konkreten Zeitrahmen, um Regenerative Energien
weltweit zugänglich zu machen. Wir fordern Sie auf, sich für das globale
Ziel einzusetzen, dass bis 2010 zehn Prozent der weltweit verbrauchten
Energie aus neuen erneuerbaren Quellen stammt. (Anmerkung: „neue“ erneuerbare
Energien sind „moderne“ Biomasse, kleine Wasserkraftwerke, geothermische
Energie, Windenergie, Solarenergie und Meeresenergie. “Moderne” Biomasse
schließt den traditionellen Gebrauch von Biomasse als Brennholz aus
und umfasst die Strom- und Wärmeerzeugung ebenso wie Kraftstoffe aus
land- und forstwirtschaftlichen Reststoffen sowie Festabfällen.)
Landwirtschaft
Nachhaltige
Landwirtschaft kann eine Schlüsselrolle bei der Armutsbekämpfung und
der ländlichen Entwicklung spielen. Es ist jedoch zu befürchten, dass
Type-2-Abkommen von Regierungen wie der der USA dazu genutzt werden,
den Farmern unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit genmanipuliertes
Saatgut aufzuzwingen. Landwirtschaft mit genmanipulierten Pflanzen ist
für kleine Farmer zu teuer und wird sie vom Markt drängen. Dies ist
ein wichtiger Aspekt neben den weit verbreiteten Bedenken bezüglich
der ökologischen Sicherheit und der Nahrungssicherheit. Die Entscheidungsmacht
in Ernährungsfragen ist essentiell, weil dadurch traditionelles Wissen
der Framer respektiert und die lokale Kontrolle der Produktions- und
Konsumsysteme von Nahrungsmitteln ermöglicht wird. Dies wird in der
aktuellen Fassung der Chairman´s Vorlage nicht angesprochen. Die Patentierung
von Lebewesen ist eine ernsthafte Bedrohung der Nahrungssicherheit und
nachhaltiger Lebensgrundlagen, vor allem kleiner Farmer in Entwicklungsländern.
Es bedarf eines neuen internationalen Instrumentes, um Patente auf Lebewesen
zu verbieten und die Rechte lokaler und indigener Gemeinschaften zu
schützen.
Biodiversität
Derzeit finden
Urwälder keine besondere Erwähnung, obwohl sie Heimat von schätzungsweise
50 % der terrestrischen Biodiversität der Erde sind und obwohl die dringende
Notwendigkeit zu handeln für diese Wälder von der Biodiversitätskonvention
CBD anerkannt wurde. Es sollte keine weitere Fragmentierung von Urwäldern
mehr stattfinden, und es sollte ein Netzwerk von Schutzzonen mit hoher
Biodiversität innerhalb des Landschaftszusammenhangs geschaffen werden.
Ebenso werden Programme benötigt, um die Vielfalt der Wälder, der Meere
und sonstiger Land- und Seegebiete wieder herzustellen. Dies sollte
sowohl durch nationale Programme als auch durch die Umsetzung der international
beschlossenen Arbeitsprogramme geschehen, unter Einbeziehung der Biodiversitätskonvention,
der Klimarahmenkonvention und der Konvention gegen Wüstenbildung. Es
sollte ein neues Portfolio innerhalb des GEF zum Thema Landdegradation
- insbesondere Wüstenbildung und Entwaldung - geschaffen werden und
ausreichende Mittel dazu bereit gestellt werden. Zudem sollten die Regierungen
die Zertifizierung ökologisch nachhaltiger Forstprodukte durch unabhängige
Dritte unterstützen.
Globalisierung
Johannesburg
muss die Selbständigkeit und die Autorität der Multilateralen Umweltabkommen
bekräftigen und sicher stellen, dass diese in keinem Fall den Regeln
der WTO untergeordnet werden. Die Regierungen müssen ebenso eine globalen
Rahmenvereinbarung für Verantwortlichkeit und Haftung von Unternehmen
entwerfen, um die Rechte der Gemeinschaften zu sichern und hohe Standards
von unternehmerischem Verhalten auf einer globalen Grundlage zu etablieren.